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Warum das Hochstapler-Syndrom ein gutes Zeichen ist

Möglicherweise bin ich ein Hochstapler und du bist mir auf den Leim gegangen. Sowohl als Produktivitäts- sowie als Fitnesstrainer stelle ich mir oft die Frage:

Bin ich überhaupt kompetent? Ist es nicht kackfrech von mir, dass ich von den Leuten Geld für meine Dienstleistung nehme?

Außer natürlich im Podcast oder im Blog, den es kostenlos gibt. Für mein Buch und den Audiokurs verlange ich kleines Geld, für ein persönliches Coaching ein großes. Wenn ich mich dann mit den Titanen auf dem Gebiet vergleiche, zweifle ich an mir. Ich habe noch keinen Bestseller geschrieben und auch noch keinen Hollywoodstar trainiert. Von der Ausbildung her bin ich Mathematiker. Das kann man studieren und das habe ich studiert. Quittiert mit einem Abschluss, der einer Studienordnung entspricht, die internationale Maßstäbe berücksichtigt. Da sollte ich mich eigentlich als Experte fühlen.

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Bei meinen Steckenpferden Fitness und Produktivität sieht das anders aus. Weder habe ich Sport studiert, noch jemals eine Bodybuilding-Meisterschaft gewonnen. Ich habe lediglich Lizenzen gemacht. Zertifikate nach internationalen Standards für einen Autodidakten in der Fitness-Abendschule. Auch habe ich Produktivität nicht studiert, sofern das überhaupt irgendwo geht. Macht mich der fehlende Hochschulabschluss zu einem Hochstapler?

Was ist das Hochstapler-Syndrom?

Der Begriff Hochstaplersyndrom – oder im Englischen Imposter Syndrome – ist die ständige Angst von Menschen, die sich auf einem Gebiet als Experte/Expertin positionieren, als Schwindler*in entlarvt zu werden. Das Umfeld könnte plötzlich die aufgestellten Pappkulissen durchschauen und man verliert sein Gesicht. Das betrifft vor allem, aber nicht nur, Frauen und ist besonders häufig bei Menschen anzutreffen, die als Quereinsteiger*in mit einem Podcast, Blog oder sogar mit einem Coaching-Programm ihr Glück neu versuchen.

Das Wort “Hochstapler” kommt ursprünglich aus dem Rotwelsch und bezeichnete einen Bettler oder eine arme Person, die mehr vortäuscht als sie hat. Sie “geht” (=stapelt) höher und mit mehr Ansehen durch die sozialen Schichten als es ihr zusteht. Dazu müssen Wissen, Weltgewandtheit und Reichtum vorgegaukelt werden, die nicht vorhanden sind.

Haben moderne Coaches, Blogger und Podcaster wirklich so viel Fachwissen oder Erfolg, wie sie vorgeben? Oder muss hier vor allem ein Bild aufrechterhalten werden? Oder, weniger niederträchtig formuliert: Ist es vielleicht eine selbsterfüllende Prophezeiung?

Zu Beginn dieses Beitrags habe ich die Mathematik in meinem Lebenslauf als Vorbild genommen, in dessen Schatten die Themen Fitness und Produktivität verblasst sind. Doch selbst in der Mathematik fühle ich mich als Hochstapler. Zwar habe ich mein Können eigentlich in Form von Zeugnissen schwarz auf weiß, aber vielleicht war das nur erschlichen? Dann habe ich die Sorge, dass mein Promotionsthema viel zu einfach war. Die gute Note ließe sich ja vielleicht auf meinen freundlichen Umgang mit den Prüfer*innen zurückführen. Das Hochstaplersyndrom kann also sehr hartnäckig sein und Fakten ignorieren.

Hochstapler als kriminelle Genies

Man kann das Wort Hochstapler, wenn man die Wortherkunft ignoriert, auch positiv deuten. Was für Eigenschaften schreiben wir jemandem zu, der Kisten in die Höhe statt in der Ebene stapelt? Er/sie hat Mut! Ein positives Attribut.

Zum Zeitpunkt des Stapelns weichen alle Sorgen der Zuversicht, dass dieser Turm halten wird. Naive Kühnheit vielleicht, aber in jedem Falle Kühnheit.  Noch ein positives Attribut.

Auch der etymologische Hochstapler besticht durch Soft Skills. Wer sich in höheren Zirkeln bewegt, ohne instantan entlarvt zu werden, der muss ohne Zweifel ein Talent haben. Mir fällt der Film “Catch me if you can” ein. Leonardo DiCaprios Figur spricht, bewegt und verhält sich mal wie ein Pilot mal wie ein Arzt, ohne einer zu sein, und niemand merkt den Schwindel. Das zeugt doch vor allem von einigen Fähigkeiten – und seien sie nur kommunikativer oder darstellerischer Natur. Für mich ist das ein aufbauender Gedanke mitten in den Hochstaplersorgen. Auch wenn DiCaprio am Ende gefasst wird. 

Wenn ich dann an die Titanen um mich herum denke, frage ich mich oft weiterhin, ob es ihnen vielleicht auch so ergeht oder erging. Vielleicht hatte bis jetzt in allen Fachgesprächen oder Interviews, die ich geführt habe, mein Gegenüber genauso viel Angst wie ich „entlarvt“ zu werden.

Der dritte und wichtigste Gedanke, warum das Hochstapler-Syndrom ein gutes Zeichen ist, kommt aber erst noch.

Warum das Hochstaplersyndrom ein gutes Zeichen ist

Möglicherweise bin ich also doch kompetenter, als ich es befürchte. Zumindest falle ich in einer Rotte von Hochstapler*innen durch meine Soft Skills nicht sofort auf. Halt! Streichen wir das “möglicherweise”. Ich bin kompetenter als ich denke und ironischerweise ist es gerade das Hochstaplersyndrom, was das beweist.

Das Wissen darum, was es alles zu wissen gibt und was davon man selbst noch nicht erschlossen hat, zeichnet Experten/Expertinnen aus. Nur Laien wissen nicht, wie wenig sie wissen und sind daher sorglos. Ohne Scham schmeißen sie in Gespräch mit Halbwissen um sich und fühlen sich dabei sicher. Das Gegenteil vom Hochstaplersyndrom ist der Dunning-Kruger-Effekt, bei dem man das eigene Wissen oder Können maßlos überschätzt. Beispiele hierfür kann man regelmäßig in den sogenannten Talentshows diverser Fernsehsender beobachten.

Noch ein letztes Mal zurück zur Mathematik. In der Oberstufe des Gymnasiums hatte ich den Leistungskurs Mathematik und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was man im Studium so alles machen würde. Ich war der festen Überzeugung, dass man einfach die Themen der Oberstufe nochmal durchkaut. Dann natürlich so richtig ausführlich und in die Tiefe gehend. 

Oh Mann, ich hatte überhaupt keine Ahnung. Ich hatte wirklich überhaupt keine Ahnung, wie viele Dinge es in Mathematik gibt, über die ich keine Ahnung habe. Deren Existenz ich nicht mal geahnt habe. Und je mehr ich gelernt habe, desto mehr neue Wissenslücken haben sich aufgetan.  Absurderweise reift man dabei zum/zur Expert*in heran. Man sammelt ungeheure Mengen an Fachwissen und Erfahrung. Nur leider wächst das bekannte Universum schneller als der eigens kartografierte Bereich.

Fazit: Wenn du unter dem Hochstaplersyndrom leidest ist das mit ganz guter Wahrscheinlichkeit tatsächlich der Ritterschlag, dass du eigentlich ein Experte/Expertin bist. Darum ist das Hochstaplersyndrom ein gutes Zeichen. Trage deine Zweifel mit Stolz.

Bonustipp

Sprich mit den Menschen in deinem Umfeld und frage sie, ob sie dich für einen Experten oder eine Expertin halten. Möglicherweise fehlt ihnen selbst das Fachwissen um das exakt zu beurteilen. Deine Leidenschaft für und jahrelange Identifikation mit deinem Thema werden sie aber spüren.

Sprich alternativ mit deinem Vergangenheits-Ich. Schreibe deine Erfolge auf. Nimm diese Notizen immer zur Hand, wenn dich Zweifel plagen. Packe diesen Blogpost am beste

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